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Zwei gegen einen

Eine Kombination aus künstlich hergestellten Immunzellen und einer speziellen Impfung gibt Krebskranken neue Hoffnung. Die Medizinische Klinik 5 des Uniklinikums Erlangen leitet dazu eine weltweit einmalige Studie.

Als er erkrankte, war Marcel Preis* 21 Jahre alt. Er fiel damit genau in die Altersgruppe von Anfang 20 bis Mitte 40, in der Hodenkrebs am häufigsten vorkommt. Schmerzlose, harte Schwellungen oder Knoten in den Hoden, die man selbst tasten kann, sind die wichtigsten frühen Anzeichen. In einer sächsischen Klinik wurde Marcel Preis direkt nach der Diagnose der linke Hoden abgenommen. Anschließend bekam er eine Chemotherapie. Im Jahr darauf habe man ihm dann „einen schönen Reißverschluss verpasst“ – um Metastasen aus dem Bauchraum herauszuoperieren, wie es der Patient bildhaft beschreibt. „Danach hatte er zehn Jahre Ruhe“, rekapituliert Onkologe PD Dr. Fabian Müller, der Marcel Preis heute am Uniklinikum Erlangen betreut. „Ich hatte damals vor der Krebstherapie Spermien einfrieren lassen, weil ich irgendwann Kinder wollte“, sagt der Patient. Die Ruhe vor dem Sturm hielt von 2007 bis 2017. Dann zog ein Hurrikan auf, der sieben Jahre dauern sollte. Der Krebs kam zurück. „Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie viele Rezidive und wie vieleChemotherapien ich hatte. Es waren unter anderemzwei Hochdosis-Chemos“, berichtet MarcelPreis. Bei einer Hochdosis-Chemotherapie werdenzuerst Stammzellen des Patienten gesammelt, weildie Therapie das Knochenmark zerstört. Nach derChemo werden die Stammzellen zurückgegebenund es können sich im Knochen wieder neue Blut- und Immunzellen bilden. „Diese Hochdosis-Behandlung heilt manche Patienten mit einem solchenKeimzelltumor“, erklärt Dr. Müller von derMedizinischen Klinik 5 – Hämatologie und Internistische Onkologie. „Marcel Preis gehörte leider nicht dazu.“

Ein innovativer Ansatz

Immer wieder bekam der junge Mann neue Therapien. „Irgendwann gab es aber keine Möglichkeit mehr, gegen die Krankheit vorzugehen. Der Patient war palliativ, eine heilende Behandlung war nicht mehr möglich“, macht Dr. Müller klar. Doch dann, Anfang 2023, zeigte sich für Marcel Preis mitten im tobenden Sturm seiner Krebserkrankung ein neuer Hoffnungsschimmer. „Meine Frau und ich hatten viel selbst recherchiert“, erinnert sich der heute 39-Jährige. „Ich war in den letzten Jahren bei so vielen Ärzten in verschiedenen Krankenhäusern in Deutschland. Und eines Tages sagte mir jemand, dass es da neue Forschung gibt.“ Und so wurde Marcel Preis am Uniklinikum Erlangen in die Studie BNT211 des Biotechnologieunternehmens BioNTech aufgenommen. Sie erforscht eine völlig neuartige Therapie, die nach Aussage von BioNTech die erste ihrer Art werden könnte. Prof. Dr. Andreas Mackensen, Direktor der Medizinischen Klinik 5, leitet die weltweite Studie. Seine Klinik ist eines von insgesamt acht deutschen Zentren, die teilnehmen. Ansatz der Forschung: Sogenannte CAR-T-Zellen werden mit einer besonderen mRNA-Impfung (CARVac) kombiniert. CAR-T-Zellen sind gentechnisch veränderte eigene Immunzellen einer Patientin bzw. eines Patienten, die darauf „programmiert“ werden, Tumorzellen zu erkennen und zu zerstören. Die zusätzliche Impfung führt dazu, dass die CAR-T-Zellen länger im Körper zirkulieren und aktiv bleiben. Die Vakzine unterstützt also die Immuntherapie.

Ein unverwechselbares Ziel

Im Rahmen der Phase-I-Studie BNT211 werden für die betroffenen Patientinnen und Patienten spezielle CAR-T-Zellen hergestellt, die das Tumorprotein Claudin-6 erkennen und angreifen. Dieses Protein ist ein ideales Ziel, „weil es eigentlich nur in der Phase vorkommt, in der der Embryo entsteht, in der wir also nicht mehr sind als ein Zellhaufen“, erklärt Fabian Müller, der die Erlanger CAR-T-Zell-Einheit leitet. „Erwachsene haben das Antigen Claudin-6 nicht mehr. Krebs reguliert es aber unter Umständen wieder hoch. Es ist also ein gut geeignetes krebsspezifisches Ziel, vor allem bei Keimzelltumoren wie bei Herrn Preis, bei Eierstock- und Magenkrebs, seltener auch bei Lungen- und Gebärmutterkrebs.“ Alle genannten sind solide Tumoren. Diese werden von „flüssigem Krebs“ unterschieden, der von Blutzellen abstammt. Bisher war es sehr schwierig, solide Krebsarten mit CAR-T-Zellen zu bekämpfen, weil sie oft kein spezifisches Angriffsziel bieten, dichtes, schwer erreichbares Gewebe aufweisen und Immunzellen gezielt ausschalten können. Deshalb funktionierten CAR-T-Zellen bisher besser bei Blutkrebs als bei soliden Tumoren. „Aber je mehr wir forschen, desto mehr Targets finden wir – also Oberflächenproteine, die für den jeweiligen Krebs charakteristisch sind und die wir gezielt attackieren können“, betont Dr. Müller. Aktuell steht das Antigen Claudin-6 im Fokus. Um die CAR-T-Zellen daran zu „erinnern“, wie dieser Feind aussieht, bekommen die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer eine Impfung mit dem Bauplan für Claudin-6. „Wenn wir mit Claudin-6 impfen, werden dann vor allem in der Milz und in den Lymphknoten antigenspezifische CAR-T-Zellen aktiviert: Sie fangen dadurch wieder an, sich zu vermehren, sie gehen zurück in den Tumor und greifen ihn erneut an. Das können wir über mehrere Zyklen machen und damit die CARs am Leben halten. Das funktioniert mittlerweile sehr gut“, so der Onkologe.

„Wir verstehen immer besser, wie Immunsystem und Krebs interagieren. Ich glaube, dass es in mittlerer Zukunft eine Reihe neuer Therapien geben wird.“

PD Dr. Fabian Müller

Marcel Preis bekam in der Medizin 5 des Uniklinikums Erlangen zunächst eine vorbereitende, milde Chemotherapie, anschließend die eigens für ihn produzierten CAR-T-Zellen. Zusätzlich erhielt er alle drei Wochen eine mRNA-Impfung – in die Vene, nicht wie sonst üblich in den Muskel. Die Behandlung vertrug er gut. „Das war kein Vergleich zu meinen Hochdosis-Therapien, wo ich teilweise vier Wochen komplett isoliert im Krankenhaus lag“, urteilt er. Nach der Spritze habe er jedes Mal etwas Fieber und Schüttelfrost bekommen, konnte am nächsten Tag aber immer wieder nach Hause. „Was wir in dieser Phase-I-Studie erforschen, hat noch nie jemand gemacht. Das ist die Idee von BioNTech, und sie sind auch die Ersten, bei denen das erfreulich gut funktioniert“, verdeutlicht Fabian Müller. Mittlerweile haben der Krebsexperte und das europaweite BNT-Studienteam fast 80 Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren therapiert, wobei eine Gruppe nur CAR-T-Zellen bekam und die andere CAR-T-Zellen und Impfung. „Es ist kein Geheimnis mehr, dass die CAR-T-Zellen durch die Impfung länger präsent bleiben“, sagt Dr. Müller. „Und wir wissen, dass der Tumor dadurch besser auf die Behandlung anspricht.“

Eine neue Phase

Die besten Erfolge erzielte das Studienteam bisher bei der Krebsart von Marcel Preis – den Hodentumoren –, dicht gefolgt von Eierstock- und Lungenkrebs. „Wir können keine Heilung garantieren“, betont Fabian Müller. „Aber wir sehen ein wirklich anhaltendes Therapieansprechen in Situationen, in denen sonst nichts mehr funktioniert und der Krebs einfach weiterwächst. Mit den Hodentumoren gehen wir deshalb jetzt in die Phase II der Studie, wo es darum geht, die Wirksamkeit zu prüfen“, so der Onkologe weiter. Phase III dient dann der Zulassung der Behandlung. 

Marcel Preis hatte noch zwei kleine Rezidive in der Lunge, die operativ komplett entfernt werden konnten, zuletzt Ende 2023. Heute, Ende 2024, ist er seit einem Jahr in Komplettremission: Es gibt in seinem Körper aktuell keine Anzeichen einer Krebserkrankung mehr. Angst vor einem Rückfall hatte und hat er nicht. „Ich bin kein Schwarzmaler und konnte das alles immer ganz gut ausblenden“, sagt er. „Ich habe mein Leben lang viel Sport getrieben und hatte deshalb auch gute Reserven, denke ich. Und ich habe mich immer irgendwie beschäftigt und abgelenkt.“ Vor wenigen Jahren, mitten in der Krankheitsphase, baute er mit seiner Frau ein Haus; 2024 wurde er zum zweiten Mal Vater – dank künstlicher Befruchtung. Denn auch 2017, vor den erneuten Chemotherapien, hatte Marcel Preis noch einmal Spermien einfrieren lassen. „Mein Sport sind aktuell meine Kinder und die Arbeiten am Haus“, sagt er und erklärt, dass er gleich noch eine Mauer fertig bauen müsse …

*Name von der Redaktion geändert

Bisherige Erfolge

Insgesamt sprechen nach den aktuellen Ergebnissen 50 Prozent der Studienteilnehmenden auf die Kombi-Therapie an. Eine Stabilisierung oder Verkleinerung des Tumors tritt bei 85 Prozent ein. „So etwas gab es bisher bei soliden Tumoren nicht“, betont PD Dr. Fabian Müller.

Lange Lebensdauer

Bei Leukämie- und Lymphompatientinnen und -patienten sind die „scharf gestellten“ Immunzellen (CAR-T-Zellen) mitunter fünf bis zehn Jahre später immer noch im Blut nachweisbar.

Was heißt „Krebsimpfung“?

Es gibt präventive Impfungen, die vor einer Erkrankung schützen sollen, etwa vor Gebärmutterhalskrebs. Andere werden verabreicht, wenn bereits eine Krebserkrankung besteht. Therapeutische „Krebsimpfungen“ im engeren Sinn regen das Immunsystem an, eigene T-Zellen zu bilden, die bösartige Zellen attackieren. Bei der Kombination aus CAR-T-Zellen und mRNA-Impfung ist der Ansatz anders: Hier werden künstlich erzeugte Immunzellen (CAR-T-Zellen) durch die Vakzine aktiv gehalten.

Text: Franziska Männel/Uniklinikum Erlangen; Fotos: Franziska Männel, Michael Rabenstein/Uniklinikum Erlangen; zuerst erschienen in: Magazin „Gesundheit erlangen“, Winter 2024/25

Weitere Informationen:

Sprechstunde für CAR-T-Zell-Therapie

09131 85-35954

m5-cart(at)uk-erlangen.de